Shitstorm: Wo die Meinungsfreiheit endet
Kleine Zeitung, 14. Juni 2024
Daniela Bachal
KOMMENTAR. Neues OGH-Urteil stärkt die Rechte von Opfern eines medialen Shitstorms. Das Urteil wirft allerdings neue Fragen auf.
Aus Sicht von Medienrechtsexperten wie Stefan Schoeller war die Entscheidung des Obersten Gerichtshofes in dieser Form längst überfällig. Bisher konnten Teilnehmer eines Shitstorms unter
Verweis auf ihre Rolle als kleines Rädchen auf die anderen zeigen, und der in seinem Ruf Geschädigte musste sich die Täter zusammensuchen. Hinzu kam das Risiko, auf den Prozesskosten sitzen zu bleiben, wenn der Schädiger mittellos war.
Der OGH hat nun in einer „wahren Zäsur“, wie Schoeller betont, ausgesprochen, dass es genügt, seinen immateriellen Schaden (Kränkung, Angst etc.) bei einem, egal welchem, Teilnehmer des Shitstorms einzuklagen, der sich dann selbst im sogenannten Regressweg darum kümmern muss, dass er den von ihm bezahlten Schaden mit den anderen Teilnehmern teilt. Einfach gesagt: Die Teilnehmer des Shitstorms dürfen sich dann untereinander über die Aufteilung streiten und die anderen Teilnehmer ausfindig machen.
Im Originaltext sagt der OGH: „Die einzelnen Poster, die zumindest teilweise untereinander vernetzt sind und wissen, an welche ,Freunde‘ sie den Beitrag weitergeleitet haben, können auch ungleich leichter die Anzahl der Schädiger eruieren und den Schaden im Regressweg untereinander aufteilen.“ Nun darf diese Annahme durchaus hinterfragt werden. Nach Erfahrung von Juristen trifft dies zumindest in der Allgemeinheit nicht zu. Wörtlich meint der OGH: „Wer sich an einem Shitstorm beteiligt, muss damit rechnen, dass er den Gesamtschaden gegenüber dem Opfer (vorweg) leisten und sich in der Folge der Mühe der Aufteilung des Ersatzes unter den anderen Schädigern unterziehen muss.“
Das Urteil bedeutet, dass jeder letztlich eine inhaltliche Prüfpflicht für die Wahrheit des von ihm weitergeleiteten Postings hat. Dass das praktisch unmöglich ist, nimmt der OGH zum Schutz der Betroffenen in Kauf. Dazu kann man freilich geteilter Meinung sein. Einerseits macht es ein Umdenken nötig, bevor mit einer Vorverurteilung zum Beispiel der Ruf eines Polizisten über Jahre beschädigt wird und er mühsame Prozesse führen kann. „In diesem Fall hat die Meinungsäußerungsfreiheit schlicht und einfach zurückzutreten“, sagt Schoeller. Für Medienrechtler wie Harald Günther und Stefan Lausegger scheinen derart massive Haftungsfolgen mit dem Grundrecht auf Äußerungsfreiheit nur schwer vereinbar.
Zu guter Letzt wäre da noch die Frage, wie der Gesamtschaden durch einen Shitstorm zu beziffern ist. Darauf geht der OGH nicht ein. Theoretisch soll ein Kläger von einem einzelnen Poster den Ausgleich für den Gesamtschaden auch nur so lange begehren können, solange diese Summe nicht von irgendeinem anderen Poster bzw. anderen Postern beglichen worden ist. „Den Beweis dafür kann ein einzelner Poster nie erbringen“, wenden Rechtsexperten wie Lausegger ein und vermissen eine Beweispflicht des Klägers dafür, dass sein Gesamtschaden noch nicht ausgeglichen wurde.